1. kommt es anders und 2. als man denkt 😉
… es waren schon einige Jahre vergangen, als mir richtig deutlich bewusst wurde, dass es nicht funktionierte, einfach weiter zu leben als sei nichts gewesen. Ich spürte, dass ich in Beziehungen immer nur sein Leben lebte und mir gar nicht mehr bewusst war, was ich selbst wollte. Fragen, die eine Entscheidung von mir forderten, konnte ich nicht beantworten. Selbst Banalitäten wie die Wahl eines Restaurants ließen in mir nur eine Leere aufkommen, die ich nicht zuordnen konnte. So sehr hatte ich meine Gefühle weggedrückt und blockiert, um dieses Erlebnis zu verdrängen.
Erst 2010 ging ich zu meiner Ärztin und erzählte ihr von der Vergewaltigung und bat sie um eine Überweisung zum Psychotherapeuten. Anfangs dachte ich, dass mir diese Therapie helfen würde, doch eigentlich war ich noch gar nicht so weit und stabil, wirklich ehrlich zu mir zu sein und dann kann dir auch kein Therapeut helfen, wenn du ihn nur oberflächlich an das Thema ranlässt.
Viel mehr brachte 2011 ein junger Mann mein Leben mit einer einfachen Buchempfehlung auf Xing durcheinander. Seine Intention auf Xing war ursprünglich eher geschäftlich, wie genau wir auf das Buch „So denken Millionäre“ von T. Harv Eker kamen weiß ich gar nicht mehr genau. Ich kann euch nur sagen, dass ich beim Lesen feststellte, wie schlecht es um mein früher so positiv geprägtes Denken stand und mir wurde ebenfalls eindrucksvoll vor Augen geführt, wie negativ mein Selbstbild besetzt war. Stundenlang sprachen wir am Telefon über das Buch und schon ein paar Wochen später buchten wir ein Seminar von Eker und flogen dafür extra von Stuttgart nach Berlin.
Diese 3 Tage veränderten alles – denn sie brachten einen langwierigen aber sehr lohnenswerten Prozess ins Rollen. Persönlichkeitsentwicklung war ein neuer Lebensinhalt. Ich besuchte weitere Seminare, las Bücher, hörte Hörbücher – und lernte wundervolle Menschen auf diesem Weg kennen, die mir viel Kraft gaben und mein Leben bereichern. Nach und nach näherte ich mich mir selbst wieder an und legte alte Verhaltensmuster ab.
2013 war dann das tiefgreifendste Jahr für mich. Ich lebte 4 Monate mit Claudia und Balu unter einem Dach, die in mir die Person sahen, die ich früher gewesen war und die ich endlich wieder sein wollte. Claudia sorgte dafür, dass ich hinsah und hinhörte. Ein Wochenende im Juni brachte einen weiteren ganz besonderen Menschen auf den Plan, der trotz des heiklen Themas auch mal kritische Fragen stellte. Eine überwältigende Erfahrung, wenn ein Mensch so viel Interesse zeigt und du mit jemandem so entspannt über so etwas reden kannst. Das war ein weiteres Seminarwochenende, an dem mir auch sonst sehr bewusst wurde, wie sehr dieses Thema noch in mir steckt.
Einen Tag vor meinem Geburtstag saß ich auf einer schönen Wiese und überlegte mir, wie ich endlich meiner Familie erzählen würde, was passiert war. 9 Jahre nach dem Übergriff stand ich also an meinem Geburtstag vor meiner Famile und erzählte ihnen, was damals passiert war und warum ich nicht mit ihnen sprechen konnte. Dieser Tag war absolut besonders für mich, denn diese „Beichte“ einte meine Familie und plötzlich äußerten Familienmitglieder Gefühle, die das sonst nie konnten.
Seitdem war ich 10 Tage meditieren, habe eine passende Therapeutin gefunden und mein Berufsleben sowie meinen gesamten Alltag bekomme ich viel besser auf die Reihe.
Seit ich so offen über das reden kann, was mir geschehen ist merke ich, wie positiv Menschen auf diese Offenheit reagieren, wie dankbar sie sind, da es oft auch ihnen hilft, über etwas zu sprechen, was sie bewegt und wie viele Menschen etwas ähnliches erlebt haben.
In dieser Zeit habe ich beschlossen, diesen Blog zu schreiben, wenn ich selbst soweit bin. Ich möchte in meinem Blog über Schlüsselmomente auf meinem Weg aus der Opferrolle beschreiben, weil ich denke, dass diese vielleicht auch anderen helfen können. Ich möchte euch zeigen, was es für mich brauchte, damit ich mich wieder anders wahrnehmen kann und dankbar bin für mein Leben. Ich fühle nun eine Stärke in mir, die ich lange vermisst habe und freue mich auf jeden Tag dieses „neuen Lebens“, indem ich mich wieder in den Mittelpunkt stellen kann.